Ostseezeitung 09./10.08.2025 (Auszug)
Ostseezeitung 09./10.08.2025 (Auszug)
VON INES SOMMER
STRALSUND. Ein kesses Mädchen springt um Stephanie Kleist-Traulsen herum. Nach der Mittagsruhe freuen sich beide, einander wiederzusehen. Wollen wir nachher zum Strand fahren?”, fragt die Er-zieherin des Stralsunder Kindernotdienstes, obwohl sie die Antwort schon kennt. Denn die aufgeweckte Kleine liebt es, baden zu gehen. „Sie und ihr Bruder sind einfach toll”, schwärmt Stephanie Kleist-Traulsen. Es ist eine von Herzen kommende Liebe zu Kindern, die man in diesen Worten spürt. Dass sich die Geschwister so gut eingelebt haben, ist keine Selbstverständlichkeit. Schließlich mussten sie ihre Familien verlassen. Das Jugendamt hat die Kinder in Obhut genommen, weil sie zu Hause stark vernachlässigt wurden.
Wir sind für diese Kinder da – rund um die Uhr. Wir geben ihnen Halt. Viele lernen bei uns erst, dass man am Tisch isst, und das auch gemeinsam. Manche wissen gar nicht, dass man selbst kochen kann. Auch ein geregelter Tagesablauf ist vielen fremd. All das zeigen wir ihnen, und das ist ein gutes Gefühl”, sagt die Erzieherin.
Sie ist seit der Eröffnung des Kindernotdienstes dabei. „Ich habe vorher 16 Jahre in Krippe, Kindergarten oder Kita-Leitung gearbeitet. Aber erst hier habe ich meinen Traumjob gefunden, denn ich kann für die Kinder da sein, habe Zeit, mich zu kümmern. Diese Arbeit macht mich glücklich“, sagt die 44-Jährige freudestrahlend. „Ich finde es toll, dass ich morgens komme und nicht weiß, was mich erwartet. Wie sind die Kinder drauf? Was brauchen sie? Passt es, bei schönem Wetter baden zu gehen? Bekommen wir vielleicht eine Neuaufnahme? All das geht einem durch den Kopf. Und gemeinsam mit dem zweiten diensthabenden Kollegen macht man dann den Tagesplan.”
Selbst bei dem vielen Regen der letzten Wochen wird es nie langweilig, so die Stralsunderin. „Da ist dann mal Spieletag angesagt oder wir fahren den Indoorspielplatz. Unsere Praktikantin hatte jetzt die schöne Idee, einen Saisonkalender zu basteln und dazu Aktionen anzubieten. Als es um Obst und Gemüse ging, sind wir zum Beispiel nach Lüssow gefahren und haben Erdbeeren gepflückt. Ganz wichtig bei allem: Spaß haben und mit den Kindern lachen“, findet Stephanie Kleist-Traulsen. Doch vergeht einem das Lachen nicht, wenn man an das denkt, was die Kinder erlebt haben – von Vernachlässigung über sexuellen Missbrauch bis hin zu seelischen Grausamkeiten?
„Ja, das ist schlimm, es kann mir trotz professioneller Distanz auch keiner erzählen, dass er nie was mit nach Hause nimmt. Darüber muss man reden. Wenn mich was sehr mitnimmt, ist mein Mann, der in der Pflege arbeitet und oft Ähnliches erlebt, für mich da. Auch der Austausch mit den Kollegen ist ganz wichtig, ebenso wie die Supervision”, sagt die Mutter eines erwachsenen Sohnes. Wichtig sei für sie auch der Ausgleich bei Sport, Yoga oder Wuseln in Haus und Hof.
Die erfahrene Erzieherin hat in den sechs Notdienstjahren schon einiges erlebt. „Da gibt es Kinder, die müssen erstmal ihre ganze Aggression loswerden Da kommst du schon an deine Grenzen, brauchst auch mal Hilfe vom Kollegen, auch Mitarbeiter aus der benachbarten Wohn-gruppe unterstützen in so einem Fall.“
Ganz schlimm war für Stephanie Kleist-Traulsen ein Fall, als zwei Geschwister (7und 9 Jahre) nach sexuellem Missbrauch in den Notdienst kamen. Ihr ganzes Verhalten war für uns schwierig. Aber klar, sie wussten ja nicht, dass das, was sie in Bad und Kinderzimmer erlebt haben, nicht normal ist.” Doch die Erzieherin, die selbst schon Oma ist, sagt sich in solchen Fällen: „Wir geben diesen Kindern Sicherheit und Geborgenheit. Ihnen soll es einfach gut gehen. Das ist unser Auftrag. Und klar tut es weh, wenn die Lütten in die Familien zurückgeschickt werden und dann hier ein zweites oder drittes Mal ankommen. Aber auch da trösten wir uns: Wenigstens geht es ihnen bei uns gut.”